Wolkenweisheiten

Ich habe gerade viel Zeit, viel mehr Zeit als sonst. Oder zumindest fühlt es sich so an. Wenn ich Zeit habe, dann ist das wie, als hätte man den Riegel eines Käfigs, in dem eine wilde, hungrige Bestie sitzt, zur Seite geschoben. Plötzlich ist da Raum für all die Ideen, die in meinem Gehirn geparkt sind. Aber man kann ja nicht die ganze Zeit arbeiten, auch dann, wenn es wirklich Spaß macht. Mein Ausgleich für diese Zeit ist es geworden, rauszugehen und die Natur zu beobachten.

Und die Natur hat viel zu bieten! Ich glaube, wir Menschen verlieren das ganz schnell aus den Augen: Zwischen den neuen Sofakissen, die gestern noch schnell bei Amazon bestellt wurden und dem neuen Handy, das jetzt doch nicht so tolle Fotos macht, wie beworben, achten wir gar nicht mehr auf die Sachen, die schon da sind. Wir sind so vielen Reizen und Problemen ausgesetzt, dass wir dem scheinbar Offensichtlichen keine Aufmerksamkeit mehr schenken.

Das ging mir eine ganze Weile so. Social Media, die Schule und ich selbst; wir alle haben dazu beigetragen, dass es so weit kommen konnte. Aber irgendetwas hat sich verändert im Laufe der Zeit. Ich habe es geschafft, meinen Fokus immer mehr zu verändern, den Blick immer häufiger dort hin zu richten, wo ich ihn eigentlich ruhen lassen möchte: Auf die Welt als etwas Größeres und nicht nur als ein Konstrukt um mich herum, in dem ich funktionieren und abliefern muss.

Es sind die Wolken, die mich in ihren Bann ziehen und zu denen ich immer wieder zurückkehren möchte. Das ist sonderbar, denn es sind nie die gleichen. Ja, jeder Wolke, die ich sehe oder vielleicht fotografiere, begegne ich nur ein einziges Mal in meinem ganzen Leben. Vielleicht klingt das traurig. Aber jedes Mal bin ich auch fasziniert und dankbar, die eine oder die hunderten Wolken gesehen zu haben. Es sind Kunstwerke, die man, je nach Wetter, nur kurz oder doch eine ganze Weile bestaunen kann. Und ich weiß nicht viel über die Beziehungen anderer zu den Wolken, aber mir haben sie etwas beigebracht:

Alles ist im Fluss

Und an manchen Sachen sollten wir nicht zu lange festhalten. Es ist völlig egal, auf welchen Bereich man das überträgt; es gilt für eine scheinbar schlecht gelaufene Klassenarbeit genauso wie für das eine verstaubte Buch auf dem Dachboden, dass dir die Großtante einmal geschenkt hat. Wir machen uns frei, wenn wir versuchen uns auf die fließenden Wolken zu konzentrieren. Solche Momente, Dinge, manchmal auch Menschen kommen und gehen und je unabhängiger wir sind, desto unbeschwerter können wir sein.

Wir sind klein

Das habe ich heute gespürt, als ich einige Minuten einfach dastand und in den Himmel, auf die Wolken geschaut habe. Nach einer Weile hat sich ein größerer Streifen herausgebildet, der mich nach wie vor an einen Drachen erinnert. Drachen sind mächtige Wesen und unsere Natur ist es auch. Manchmal hilft es mir, genau daran zu denken: Dass wir nicht die Stärksten sind und es auch nicht sein müssen. Die Natur meint es nämlich gut mit uns, wenn wir ihr auch respektvoll begegnen. Und dass in diesem Maßstab die Sorgen eines kleinen Menschen wir mir vollkommen verschwinden, brauche ich wahrscheinlich gar nicht weiter zu beschreiben. Auch deshalb liebe ich Wolken. Sie helfen mir, geerdeter zu sein.

Ich habe keine Kontrolle

Das ist eine provokante Aussage, ja. Aber ich finde, da ist etwas dran. Schon wenn ich nur an das Wetter denke, merke ich das sofort: Alles, was ich tun kann, ist, die App auf meinem magischen Stück Glas zu öffnen. Mehr nicht. Das Wetter wird sich uns nicht fügen, nur weil am Wochenende gegrillt werden soll. Und so ist es in vielen anderen Situationen irgendwie auch. Wenn ich gar nicht mehr den Anspruch an mich selbst habe, ich hätte die Kontrolle, am besten über mein ganzes Leben, so kann ich in den Situationen entspannter sein, in denen mich der Kontrollverlust heimsucht.

Worte zu machen ist leicht, aber sie zu leben eine Mammutaufgabe. Mir gelingt das auch noch nicht in Gänze. Aber seit ich mir mehr Zeit für die Wolken nehme, kann ich mich immer wieder an diese drei Wolkenweisheiten erinnern. Ich meine, ich bin erst 17 Jahre alt; da wäre das auch ein bisschen viel verlangt, oder?

Die Wolken und ich, wir haben uns gefunden. Und so toll ein ganz klarer, blauer Himmel auch sein mag: Ich würde stets nach den Wolken suchen!

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