Grün

Wenn ich rausgehe, dann besucht mich die Welt von nebenan.

Wenn ich rausgehe, dann bin ich manchmal eine Wolke.

Wenn ich rausgehe, dann vergesse ich manchmal die Wolken.

Gerade jetzt in den letzten Wochen habe ich gemerkt, wie schön es ist, draußen zu sein. Wir Menschen tendieren ja dazu, immer das zu wollen, was wir nicht direkt haben können; und so habe ich erst jetzt so richtig gemerkt, wie sehr mir unser alter Garten fehlt. Groß und grün wäre er der optimale Quarantäne-Garten gewesen. Aber jetzt sind wir eben hier und haben (k)einen Garten.

Er ist eine Landschaft aus Steinen, in der mit einigen wenigen prägnanten Steinen und Steinskulpturen Akzente gesetzt werden. „Stein gehabt“, könnte man sagen, dass wir überhaupt so einen Außenbereich haben. Trotzdem macht er mich unzufrieden und vor allem die Tatsache, dass jeglicher Sichtschutz fehlt, ist irgendwie ein Deal-Breaker. Vielleicht tut sich da in Zukunft noch etwas, aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

In dieser gewissen Not habe ich mich also dazu entschlossen, die Natur in der Nähe zu erkunden – zwar haben wir hier keine „private Natur“, aber dafür die riesige, die wir mit den anderen Teilen! Eigentlich ist sie nämlich auch so konzipiert: nicht privatisiert, sondern für alle da. Und in diesen Tagen habe ich gelernt, dass es unfassbar befreiend sein kann, draußen zu sein und das Grün wertzuschätzen. Und dabei alle Gedanken auf das Chlorophyll zu fokussieren, nichts anderem Beachtung zu schenken. Das ist schön, aber auch schwer.

Wenn ich rausgehe, zum Laufen oder Radfahren, dann geht dabei nichts anderes als vielleicht noch Musik anzuhören. Manchmal, da brauche ich das, um eine Barriere zwischen dem Rest der Welt und mir zu ziehen … Jedenfalls setze ich mich im Grünen oftmals meinen eigenen Gedanken aus und lasse ihnen freien Lauf. Das ist ein Risiko.

Denn manchmal, da bin ich eine Wolke.

Dann klappt es. Dann lasse ich los bis zu dem Punkt, an dem ich ein bisschen schweben kann, auf den rauschenden Bach hören, die Blätter beim Rascheln besuchen, den Vögeln guten Abend wünschen. Wenn ich es schaffe, meine Gedanken wirklich loszulassen, dann ist das wahnsinnig erholsam. Und dann kann ich an die Wolken denken, bemerken, dass vieles doch okay ist und ich als kleiner Mensch dennoch Teil eines großen Ganzen bin. Es wäre schön, wenn es mir immer so ginge. Das wäre aber viel zu viel verlangt.

Und manchmal, da vergesse ich die Wolken.

Dann klappt es nicht. Dann kreisen meine Gedanken so schnell, wie Elektronen um den Atomkern. Es wird fast ungesund, aber ich bin mir vollkommen ausgeliefert. In dem Sinne vergesse ich die Wolken, weil ich es nicht zulassen kann, für einen Moment befreit zu sein. Das ist die Ambivalenz des Grüns, zumindest für mich. Dabei bin ich der Schuldige und nicht einmal das Grün…

Aber lernen können wir trotzdem von dem Grün in unserem Leben … Wir können zusammen mit ihm versuchen, unseren Blick auf das Schöne und vor allem auf die Schönheit der Unbeständigkeit zu lenken. Sei es nun der Wald oder das Wetter: Beides wird zu keinem Zeitpunkt so sein, wie es noch gerade zuvor gewesen ist. Die Natur lebt jeden Atemzug im Moment, im Jetzt und weil wir eigentlich ein Teil von ihr sind, können wir das auch.

Manchmal vergessen wir es einfach, dass da das Grün ist und dass wir von Zeit zu Zeit Wolken sein können.

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